22. bis 25. Juni 2010
Die internationale Fahrradkonferenz Velo-city in Kopenhagen bot vier sehr spannende Tage mit vielen Gelegenheiten zum weltweiten Netzwerken und umfassenden Informationen rund um das Radfahren. Gleichzeitig war sie eine Art Energiepool, aus dem die Teilnehmer neue Motivation tanken konnten.
Die erste Velo-city wurde 1980 in Bremen eröffnet. Die 16. Velo-city, die dieses Jahr stattfand, war gleichzeitig auch die erste "Velo-city global" mit mehr als 1000 Teilnehmern aus 49 Staaten. Global im wahrsten Sinne des Wortes!
Inhalt
Vorträge und Workshops ||
Kopenhagen hautnah ||
Synergie-Effekte ||
Mehr Radverkehr! ||
Velo-city 2011
Das Programm war mindestens genauso bunt gemischt wie die Teilnehmer. Man konnte erfahren, wie das Fahrrad in Indien hilft, Freiräume zu schaffen und Einkommen zu sichern. Oder man konnte sich über einen interessanten Ansatz zum Umgang mit Fahrradleichen in der Schweiz informieren. Aus Japan gab es einen Bericht über den Fahrradverleih und seine Effekte auf den Tourismus. Aus Finland wurde berichtet, wie erfolgreich man bei extremen Klimabedingungen Rad fahren kann. Und in Weißrussland versucht man mit den anarchischen Mitteln des Crowdsourcing eine Fahrradkarte zu erstellen, um in einem späteren Schritt die Radverkehrspolitik zu beeinflussen.
Besonders gut gefallen haben mir jedoch die vielen verschiedenen Formate, die angeboten wurden. Neben der klassische Form des Vortrags gab es viele kreative und interaktive Workshops, bei denen man andere Teilnehmer kennen lernen und mit vielen Menschen Gedanken austauschen konnte. Zum einen gab es Diskussionsrunden zu bestimmten Themen und kreatives Brainstorming, zum anderen Networking-Events im Stil von Speed-Dating und sehr dynamische 8-Minuten-Vorträge über Fahrradprojekte aller Art in Dänemark mit musikunterlegten Pausen, in denen sich jeder Zuhörer schnell ein neues Thema suchen konnte. Und immer wieder gab es großzügig bemessene Pausen, in denen man sich mit all den Menschen, die man auf der Konferenz kennen gelernt hatte, weiter austauschen konnte. Das hat wirklich Spaß gemacht!
Aber die Konferenz fand auch auf der Straße statt. Mit dem Fahrrad konnte man zehn ausgewählte Projekte zu den Themen Infrastruktur und Pendeln besuchen, wobei man die Reihenfolge und die Schwerpunkte selbst wählen konnte. Und auch nach der Konferenz konnte man noch an freiwilligen Exkursionen teilnehmen.
Die gesellschaftlichen Highlights der Konferenz waren die Dinner-Party am Mittwoch und der Fahrradkorso am Donnerstag, auf dem wir rund zwei Stunden durch die Kopenhagener Innenstadt gefahren sind. An diesem Fahrradkorso haben nicht nur die Konferenzteilnehmer, sondern auch viele Kopenhagener Bürger teilgenommen. Einen Eindruck vermittelt das englischsprachige Video, das ich in meinen japanischen Fahrradblog eingebunden habe.
In der heimlichen Fahrradhauptstadt Kopenhagen gab es natürlich auch außerhalb der Konferenz viel zu entdecken. Die breiten Fahrradwege sind komfortabel und die fahrradfreundliche Atmosphäre in der Stadt macht Spaß. Aber auch hier gibt es noch viel zu tun. Unter anderem hat sich die Stadt bis 2015 eine Erhöhung des Radverkehrsanteils auf 50 % beim Berufs- und Ausbildungspendeln auf die Fahnen geschrieben. Und dann ist da noch der ewige Kampf gegen den Fahrraddiebstahl.
Die interessanteste Exkursion in der Stadt war die Fahrt mit der S-Bahn, in der das Fahrrad kostenlos mitreisen kann. Spontan hat sich eine kleine Gruppe von vier Personen und vier Rädern gebildet, und nach einigen Stationen Fahrt hat uns ein Mitarbeiter der Bahngesellschaft Informationen zum Projekt gegeben. Die Fahrt war sehr angenehm, da im vorderen Waggon Fahrradständer angebracht sind, sogar mit Sondergrößen für Mountainbikes! Und weil sowohl der Bahnsteig als auch der Fahrradwaggon mit einem großen Piktogramm gekennzeichnet sind, weiß man sofort, wo man hin muss. Das ganze lohnt sich übrigens nicht nur für die Radfahrer, die jetzt einen größeren Aktionsradius haben, sondern auch für die Bahngesellschaft, die so neue Kundenkreise erschließen kann.
Aber auch die Fahrradbox für Lastenräder war ein Hit. Die vorläufig Testversion sticht mit ihrem auffälligen Design ins Auge: Die Box ist strahlend pink und genauso groß wie ein PKW — und ebenso geformt. Das soll nicht nur die Lastenfahrräder aufwerten, sondern auch eine Diskussion über die Verteilung von Parkraum anregen. Immerhin zeigt es, dass ein Autoparkplatz reicht, damit vier Familien ihre Lastenfahrräder parken können. Das Fahrrad ist nun einmal unschlagbar raumsparend.
Aber die Aha-Erlebnisse in der Stadt waren nicht nur auf die Exkursionen beschränkt. Zusammen mit einer Konferenzteilnehmerin aus Portugal bin ich bei einer dänischen Familie untergekommen und konnte dort das Fahrrad als selbstverständliches Verkehrsmittel in der Stadt erleben. Als der Sohn noch klein war, ist unsere Gastfamilie vom Auto aufs Lastenfahrrad umgestiegen. Und das ist so geblieben. Auch jetzt leben sie zentral und autofrei, und der Sohn flitzt ganz selbstverständlich auf den eigenen zwei Rädern durch die Stadt.
Die Redner auf der Konferenz haben immer wieder die Vorteile des Radfahrens betont, die man wie folgt zusammenfassen kann.
Leider ist es mit dem Autofahren wie mit dem Rauchen: Es reicht nicht, sich über die Konsequenzen im Klaren zu sein, es muss auch Anreize zum Aufhören und Alternativen geben. Dazu gehören attraktive Wege, auf denen das Radfahren Spaß macht und schnell zum Ziel führt. Dazu gehören auch Fahrradbügel, an denen man sein Rad sicher abstellen kann. Und nicht zuletzt gehört dazu eine fahrradfreundliche Atmosphäre in der Stadt.
Die Velo-city hat deutlich gemacht, dass der Radverkehr auch in Ländern mit hohem Radverkehrsanteil noch ausbaufähig ist. Und dass es weltweit Bemühungen gibt, nachzuziehen. Die Wege, die dabei beschritten werden, sind vielfältig. Man kann den Radverkehr schneller und komfortabler als den Autoverkehr machen und wie Kopenhagen dabei das Hauptaugenmerk auf die Pendler legen. Man kann sich am Markt orientieren und auf die verschiedenen Nutzergruppen zugeschnittene Lösungen suchen, statt Angebotsplanung nach dem Gießkannenprinzip zu praktizieren. Und man muss Öffentlichkeitsarbeit betreiben, die zeigt, welche Vorteile das Radfahren für alle hat. Dabei kann es auch hilfreich sein, wenn wie etwa in Münster oder Tübingen bekannte Persönlichkeiten und Politiker mit dem Rad unterwegs sind. Und gleich mehrere dänische Initiativen haben betont, wie wichtig es ist, die Kinder aufs Rad zu bekommen, da sie es dann auch als Erwachsene nutzen. Deshalb ist auch die Mobilitätserziehung in der Schule von besonderer Bedeutung.
Alles in allem geht es nicht darum, nur die Menschen anzusprechen, die sowieso und unter allen Umständen mit dem Rad fahren. Viel wichtiger ist es, die Bedenken der Menschen ernst zu nehmen, die gern mit dem Rad fahren würden, aber sich aus irgend welchen Gründen nicht trauen. Dabei kann es sich zum Beispiel um soziale Gründe wie den gesellschaftlichen Status oder um Fragen der Verkehrssicherheit und der sozialen Sicherheit handeln. Für die fahrrad- und fußgängerfreundliche Stadt wurde deshalb angeregt, so zu planen, dass sich Kinder und Senioren wohl fühlen. Dann können auch alle anderen Menschen bequem ohne Auto mobil sein. Übrigens wird die Gefährdung beim Radfahren oft überschätzt, während die Gefahren, die aus dem heute so weit verbreiteten Bewegungsmangel resultieren, unterschätzt werden.
Die nächse Velo-citz findet vom 23. bis zum 25. März 2011 in Sevilla statt. Vielleicht sehen wir uns ja dort?
Zuletzt geändert am 22.07.2010
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