31. Mai bis 4. Juni 2010
Eine Woche lang war ich mit "umdenken", einem Bildungswerk in der Heinrich-Böll-Stiftung in Stockholm unterwegs, um einen Einblick in die Europäische Umwelthauptstadt 2010 zu bekommen. Unter den Teilnehmern waren nicht nur Vertreter von Umweltverbänden, die sich hier in Hamburg mit dem Thema Green Capital befassen (Hamburg wird im nächsten Jahr europäische Umwelthauptstadt sein), sondern auch Mitarbeiter von Behörden und Unternehmen. Schon unsere Unterkunft war ein Beispiel für eine kreative Umnutzungen: Sie lag im Zentrum Stockholms und war ein sehr attraktiv und witzig umgebautes Gefängnis.
Inhalt
Die kompakte Stadt ||
Verkehr ||
Ökologie und Wohnen ||
Die grüne und blaue Stadt ||
Visionen ||
Eindrücke
Stockholm liegt auf einer Vielzahl kleiner Inseln und wird durch den Riddarfjorden, der den Mälarsee mit der Ostsee verbindet, in Ost-West-Richtung zerteilt. Da die Stadt um eine Brücke über diesen Engpass entstanden ist, fährt heute ein Großteil des Schienen- und Straßenverkehrs direkt durch die Innenstadt.
Stockholm ist eine wachsende Stadt. In den letzten Jahren wird versucht, durch innenstadtnahe Nachverdichtung eine weitere Zersiedlung des Umlands zu vermeiden. Damit die neu entstehenden innenstadtnahen Quartiere gleichzeitig im Grünen liegen, sollen die Grünkeile, die von außen an die Stockholmer Innenstadt heranreichen, erhalten werden. Derzeit haben rund 95 % der Bewohner Stockholms einen Park oder eine Grünfläche in nur 300m Entfernung. Und weil wir das Wetter während unseres Aufenthalts so schön war, konnten wir mit eigenen Augen sehen, welche ungeheure Anzeihungskraft sie auf die Stockholmer ausüben.
Aber Stockholm ist auch eine Stadt am Wasser. Und auch das hat einen hohen Freizeitwert.
Eine kompakte Stadt ist ideal mit dem ÖPNV oder dem Fahrrad zu erschließen. Aber das Leitbild der autogerechten Stadt ging auch an Stockholm nicht spurlos vorbei. An der Stelle im historischen Stadtzentrum, die jahrhundertelang die einzige Verbindung zwischen Nord- und Südschweden war, entstand in den 30-er Jahren ein aus heutiger Sicht völlig überdimensioniertes Straßenbauwerk. Dieser frühe Trend zur funktionalen Stadtgestaltung wurde wohl auch von der nationalen Ausstellung für Architektur, Design und Kunsthandwerk im Jahr 1930 verstärkt.
Mit den steigenden Verkehrsmengen entstanden chronische Staus und schlechte Luft. Als Gegenmaßnahme wurde 2006 eine City-Maut in Form einer Steuer (auf Schwedisch: Trängselskatt) getestet, die bei der Einfahrt in die Innenstadt erhoben wird. Nach einer lebhaften Diskussion und einem Volksentscheid wurde sie im folgenden Jahr dauerhaft eingeführt. Als Folge davon sank die Anzahl der in das Gebiet einfahrenden Autos um rund 20 %, Der CO2-Ausstoß konnte um fast 15 % gesenkt werden. Allerdings wird kritisiert, dass die Einnahmen nicht für den Radverkehr oder den ÖPNV sondern für Straßenbauten genutzt werden.
Als Folge der City-Maut stiegen viele Taxen auf die von der Zahlung ausgenommenen umweltfreundlicheren Antriebe um. Und rund ein Viertel aller Busse nutzt heute aus Brasilien importiertes Ethanol als Kraftstoff. Auch hier gibt es zwei Seiten der Medaille: Einerseits wird Ethanol aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen, andererseits bedrängt es mit seinen Anbauflächen den Regenwald und schränkt die Flächen für den Nahrungsmittelanbau ein.
Auch der Radverkehr in Stockholm entwickelt sich gut und hat sich innerhalb von 10 Jahren auf 13 % verdoppelt. Es gibt viele großzügige Radwege abseits des Autoverkehrs, die zum Fahren einladen, eine Fahrradmitnahme im ÖPNV ist allerdings nicht möglich. Das Stadtwerbungsunternehmen Clear Channel bietet seit 2006 ein Fahrradverleihsystem an. Leider gibt es in der ganzen Stadt nur wenige Möglichkeiten, sein Fahrrad komfortabel und sicher zu parken. Wenn man jedoch sieht, wie viele alte und schlecht gepflegte Räder in der Stadt unterwegs sind, liegt der Gedanke nahe, dass komfortable und sicher Abstellanlagen mehr für die Verkehrssicherheit tun würden als die bereits vorhandene Helmpflicht.
Der Anteil an Atomenergie im schwedischen Energiemix ist zwar hoch, aber dennoch gibt es interessante Projekte zu nachhaltigen Energien. Die meisten Wohnungen in Stockholm sind an das ausgedehnte Fernwärmenetz angeschlossen, das seine Energie nur noch zu 20 % aus fossilen Brennstoffen bezieht. Und obwohl Schweden nicht eben ein tropisches Land ist, gibt es hier auch das ausgedehnteste Fernkältenetz der Welt.
Natürlich wird in Stockholm der Müll getrennt. Nur bei der Entsorgung ist man einen Schritt voraus: In dem neu erschlossenen Stadtteil Hammarby Sjöstad wurde ein unterirdisches System installiert, in dem der Abfall nach Fraktionen getrennt aus den Sammelbehältern abgesaugt wird: Ein Stadtteil ohne Müllabfuhr.
Bei allem Lob hatte die EU-Bewertungskommission auch einen schwerwiegenden Kritikpunkt: In den meisten Wohnhäusern gibt es keine Wasserzähler oder Abrechnungen für den Wasserverbrauch, so dass der Impuls zum Wassersparen gering ist. Sachen, die nichts kosten, sind eben nichts wert...
Wo immer man sich in Stockholm befindet, die nächste Grünfläche und die nächste Wasserfläche ist nicht weit. Aber das erfreut nicht nur den Mensch, es sind auch Lebensräume für viele und zum Teil seltene Pflanzen- und Tierarten.
In der Nähe der Innenstadt liegt ein Nationalpark. Ungemähte, blühende Wiesen sind eine lebenswichtige Nahrungsquelle für Insekten und Vögel und sehen gleichzeitig nach Sommer aus. Sogar Totholz darf mal stehen bleiben. Aber auch die vielfältigen Uferbereiche sind nicht nur eine Augenweide, sondern wertvoller Lebensraum.
Die Wasserverschmutzung im Mälarsee hat man in den Griff bekommen. Jetzt soll man in Stockholm sogar Lachse fangen können. Und die überall in der Stadt anzutreffenden Angler können ihren Fang sogar gefahrlos essen!
Auch Hammarby Sjöstad lebt von der Nähe zu Blau und Grün. Das Neubauquartier mit ökologischem Anspruch ist auf einer innenstadtnahen Industriebrache entstanden, die vor allem für negative Schlagzeilen gesorgt hatte. Anlass für die ökologische Ausrichtung war die schwedische Olympiabewerbung 2004. Die Spiele wurden dann doch in Athen ausgetragen, aber Stockholm hat auf diesem Weg ein attraktives Wohngebiet gewonnen. Die Gebäudehöhe ist begrenzt, und die Umweltbelastung sollte auf die Hälfte herkömmlicher Wohngebiete reduziert werden. Das hat zwar nicht ganz geklappt, aber dafür wohnen hier jetzt anders als erwartet viele Familien mit Kindern.
Aber der Titel der Europäischen Umwelthauptstadt steht nicht für den Endpunkt einer Entwicklung. Stockholm wird auch weiterhin wachsen und interessante Projekte vorstellen.
Ein wichtiges Projekt ist die weitere Entwicklung von Stadtbrachen und Wohngebieten. Ein Beispiel ist der Royal Seaport (Norra Djurgårdsstaden), wo ein ehemaliges Gaswerk in ein Wohn- und Geschäftsgebiet umgewandelt werden soll. Dabei will man aus den Fehlern, die in Hammarby Sjöstad gemacht wurden, lernen und auf die dortigen Erfahrungen aufbauen. Norra Djurgårdsstaden liegt am Wasser und ist von Grün umgeben. Bis 2030 soll das Gebiet ganz auf fossile Brennstoffe verzichten und wird deshalb von der Clinton Climate Initiative gefördert. Gleichzeitig steht die Stadt vor der Aufgabe, die energetisch nachteiligen Wohnbauten der 60-er Jahre zu modernisieren.
Eine weitere große Aufgabe ist direkt im Stadtzentrum zu bewältigen. In Slussen kreuzen sich Bahnstrecken und Straßen aus allen Himmelsrichungen. Um den Verkehr zu bewältigen, wurde 1936 ein gewaltiges, mehrstöckiges Verkehrsbauwerk errichtet, das lange als Meisterwerk der Ingenieurskunst gefeiert wurde und heute wie ein Fremdkörper im engmaschigen Gewebe der historischen Innenstadt wirkt. Es soll durch einen attraktiven Stadtraum mit hoher Aufenthaltsqualität ersetzt werden. Die Umgestaltung soll bis 2018 dauern — die Fertigstellung wird sicher ein guter Anlass sein, die Stadt wieder einmal zu besuchen!
"Und wieso sind nun ausgerechnet wir Europäische Umwelthauptstadt geworden?!" Das ist eine Frage, die wir in Stockholm genauso oft gehört haben wie in Hamburg. Natürlich haben beide Großstädte auch ihre Problemzonen. Aber ist es nicht gut, von einer unabhängigen Kommission bewertet worden zu sein und damit genau zu wissen wo man steht? Und von den anderen Städten zu lernen und ihnen gleichzeitig neue Impulse zu geben? Wenn das durch das Projekt erreicht wird, ist finde ich schon viel gewonnen.
In Stockholm wurde uns auch von vielen Menschen gesagt, dass man nach den Sternen greifen muss, um die Baumwipfel zu erreichen. Klare und ehrgeizige Ziele sind wichtig, um Fortschritte zu erreichen und sie allen Beteiligten leicht zu ermitteln. Und wenn die Ziele nicht zu 100 % erreicht werden ist es auch kein Beinbruch. Das ist ein Motto, von dem wir meiner Meinung nach auch lernen können: Bei aller Bescheidenheit muss man seine Erfolge auch verkaufen dürfen.
Übrigens stehen inzwischen auch die Finalisten für die Eurpäische Umwelthauptstadt 2012 und 2013 fest. Es sind Barcelona und Vitoria-Gasteiz in Spanien, Malmö in Schweden, Nantes in Frankreich, Nürnberg in Deutschland und Reykjavik in Island. Wer wohl das Rennen machen wird? Das Ergebnis wird Ende Oktober in Stockholm verkündet.
Zuletzt geändert am 18.06.2010
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