10. April 2011
Seit dem Großen Ostjapan-Beben am 11. März sind vier Wochen vergangen. Die Schäden sind inzwischen weitgehend erfasst, aber der Wiederaufbau wird noch Jahre dauern. Erste Überlegungen dazu gibt es schon, aber heute möchte ich kurz darüber berichten, warum der Schaden so außerordentlich groß ist.
Inhalt
Erdbebenland ||
Das Große Ostjapan-Beben ||
Erdbeben in Tōkyō ||
Tsunami ||
Bodenabsenkungen ||
Schäden in den Präfekturen
Eigentlich rechnet jeder in Japan mit Erdbeben, da es ein Teil des pazifischen Feuerrings ist und auf der Schnittstelle von besonders vielen Plattengrenzen liegt: Im Norden taucht die Pazifische Platte unter die Nordamerikanische Platte ab, um dann gemeinsam mit dieser unter der Eurasischen Platte abzutauchen. Die Izu-Halbinsel südwestlich von Tōkyō liegt auf der Philippinischen Platte, an deren nördlichstem Punkt der Fuji steht. Die Platten werden von einigen Forschern auch weiter in Mikroplatten unterteilt – die Ochotsk-Platte gehört zur Nordamerikanischen Platte und die Amur-Platte zur Eurasischen.
Die Japan Meteorological Agency nennt das Große Ostjapan-Beben (auf Deutsch auch Sendai-Beben oder Tōhoku-Beben genannt) auf Englisch etwas umständlich aber offiziell "The 2011 off the Pacific coast of Tohoku Earthquake". Es ist das stärkste jemals in Japan aufgezeichnete Beben (den ersten Seismographen gab es übrigens schon 1894) und erschütterte am Freitag, dem 11. März 2011 um 14:46 Uhr Ortszeit mit einer Magnitude von 9,0 das ganze Land. Die Vorbeben und zahlreichen Nachbeben sind eindrucksvoll auf dieser animierten Karte zu sehen.
Das Hypozentrum des Bebens lag 130km vor der Oshika-Halbinsel und damit in der für ein Miyagi-Beben vorhergesagten Region, in einer Tiefe von 24km. Die Achse, auf der die Kräfte wirkten, verlief von WNW nach OSO. Nach Angaben der Tōkyō-Universität riss die Erdkruste innerhalb von dreieinhalb Minuten in einem Bereich von 500km mal 200km auf, wobei die betroffenen Verwerfungen eine Neigung von 12 Grad haben. Weitere Analysen ergaben, dass sich der Meeresboden 200km vor der Küste von Miyagi in einem Gebiet von 160km Länge und 55km Breite um bis zu 55m horizontal und 5m vertikal verschoben hat. Während die Ostküste Japans abgesunken ist, ist der Pazifikboden aufgestiegen.
Die Erdbebenwahrscheinlichkeit an der Ostküste ist durchaus unterschiedlich. Während vor dem Sanriku-Gebiet etwa alle 37 Jahre ein Beben mit einer Magnitude von 7 oder stärker auftritt, gibt es sie vor Fukushima nur einmal in 400 Jahren. Vor Ibaraki gibt es alle 21 Jahre ein Beben mit einer Magnitude von 6,5 oder mehr. Für die gesamte Ostküste Japans wird angenommen, dass ein Erdbeben mit einer Magnitude von 8 und ein großer Tsunami etwa alle 133 Jahre auftritt. Das Große Ostjapan-Beben war jedoch stärker und räumlich ausgedehnter als jedes vorausgesagte Beben.
Problematisch war auch, dass das Beben mit rund 5 Minuten sehr lange dauerte. Zum Vergleich: Das Beben, das Kōbe am 17. Januar 1995 mit der Magnitude 7,3 getroffen hat, war nur 20 Sekunden lang. Das Hypozentrum lag stadtnah in einer Tiefe von nur 16km, so dass die Schäden lokal begrenzt waren.
Mit einer makroseismischen Stärke von 7 auf der JMA-Skala war die Stadt Kurihara am vom Hauptbeben am 11. März am stärksten betroffen. Ein Beben dieser Stärke ist ein Albtraum: Man kann nicht stehen, die meisten Möbel und sogar schwere Elektrogeräte wie Fernseher oder Kühlschränke fallen um. Gebäude werden stark beschädigt oder zerstört, zumindest fallen Fassadenteile ab oder Fenster zerbrechen. Auch manche erdbebensichere Gebäude stehen nach dem Beben nicht mehr aufrecht. Elektrizität, Gas und Wasser sind unterbrochen. Auch große Bäume können direkt über der Wurzel abbrechen, Grabsteine fallen um. Der Erdboden reißt auf, an Hängen entstehen Rutschungen. Die Schäden an Straßen, Eisenbahnen und Brücken sind erheblich.
Das Große Ostjapan-Beben hat nichts mit dem Tōkai-Beben zu tun, das für den Großraum Tōkyō vorhergesagt ist. Es hat in dieser Region auch nicht zu weiteren Spannungen in der Erdkruste geführt. Das letzte große Erdbeben in der Kantō-Region war 1923 und hat in Tōkyō und Umgebung mit einer Magnitude von 7,9 mehr als 140.000 Menschenleben gekostet. Für die nächsten 30 Jahre soll die Wahrscheinlichkeit, dass im selben Gebiet ein extrem starkes Erdbeben mit einer Magnitude um 8 auftritt, bei 87 % liegen. Erdbeben dieser Stärke gibt es hier alle 100 bis 150 Jahre.
Generell hat das Große Ostjapan-Beben einer stärkeren Erdbebentätigkeit und stärkerem Vulkanismus in der Kantō-Region geführt. Zum Beispiel wird angenommen, dass es das Beben mit der Magnitute 6,4 am 15. März in Shizuoka angestoßen hat. Das Hypozentrum lag in einer Tiefe von 15km der Nähe von Fujinomiya und damit bei der Bucht von Suruga, wo auch das Hypozentrum des Tōkai-Bebens vermutet wird. Allerdings ist die Forschungsgruppe Erdbeben der Tōkyō-Universität zu dem Schluss gekommen, dass keine akute Gefahr besteht, da der Mechanismus sich vom Tōkai-Beben unterscheidet und keine großen neuen Spannungen in der Erdkruste auftraten.
Der Tsunami ist aufgrund der starken Bewegungen des Meersbodens fast an der gesamten Küste gleichzeitig entstanden und setzte in etwa genauso viel Energie frei wie das Erdbeben. Die Meeresoberfläche hat sich bei dem Beben erst um 2m gehoben und dann elf Minuten später noch einmal um 3m. Da die Wellen aus zwei Richtungen etwa gleichzeitig in der Bucht von Sendai angekommen sind, haben sich die Wassermassen dort zu einer hohen Wand aufgetürmt. Aber auch in den engen Buchten der Ria-Küste weiter im Norden, die durch schmale Flusstäler geprägt ist, waren die Schäden erheblich. Zumal die Schwemmland-Ebenen an den Flussmündungen nicht sehr groß und daher eng besiedelt sind.
Vermutlich ist es der bisher am besten dokumentierte Tsunami der Welt: Das ist laut Aussage der University of California eine Chance das Verhalten von Tsunamis an Land genauer zu erforschen, und zur Sicherheit von Siedlungen, Fabriken und Kraftwerken beizutragen, während bisher vor allem die Ausbreitung von Tsunamis im Meer untersucht wurde.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Tsunamis zu messen. Vor der japanischen Küste sind Tiefseekabel verlegt, die über Sensoren den Wasserdruck messen. Daraus lässt sich auf die Höhe der Wassersäule über dem Kabel schließen. In Küstennähe gibt es sowohl herkömmliche Pegel, die den Wasserstand mit Schwimmern messen, als auch Sensoren an Masten, die über Ultraschall den Abstand zur Wasseroberfläche messen. Aber auch an Land stehen Messstationen, die wiederum über den auf ihnen lastenden Druck die Höhe der Wassersäule messen.
Viele dieser Messstationen sind schon während des ersten Tsunami ausgefallen, vermutlich aufgrund der unverhergesehenen Wucht der ersten Welle. Daher konnte nur noch vor einer eventuell noch höheren Welle gewarnt werden. Laut Bericht des japanischen Fernsehsenders NHK zeigen Gebäudeschäden in Kirikiri, dass der Tsunami dort bis zu 23m hoch war. Die horizontale Last auf Gebäude soll bis zu 50t/m2 betragen haben, so dass auch erdbebensichere Stahlbetonbauten einfach aus ihrem Fundament gerissen wurden. Und einige vermeintlich sichere Gebäude wurden zur tödlichen Falle, weil sie einfach nicht hoch genug waren.
Überall in Japan stehen Sirenen und Lautsprecher, die jeden Abend um 17:00 Uhr getestet werden – normalerweise wird ein Kinderlied gespielt. Nach einem Erdbeben können sie über Leben und Tod entscheiden, da sie für Tsunamiwarnungen genutzt werden. In den vergangenen Wochen gab es einige bewegende Berichte über die Menschen, die diese Arbeit übernommen haben, zum Beispiel über die Mitarbeiterin einer Stadtverwaltung, die während der Durchsagen in den Wassermassen umgekommen ist oder einen jungen Mann von der Freiwilligen Feuerwehr, dem das Wasser schon um die Knöchel spülte, während er die Warnung unbeirrt immer wieder wiederholte.
Tsunamis bewegen sich im tiefen Wasser sehr schnell – bei einer Wassertiefe von 5.000m sind sie mit 880km/h in etwa so schnell wie ein Düsenflugzeug. Je flacher es ist, desto langsamer und höher werden sie. Bei einer Wassertiefe von 100m sind sie nur noch rund 100km/h schnell und bei einer Wassertiefe von 10m nur 36 km/h. Die Geschwindigkeit an Land ist genau wie die Reichweite unter anderem von der Oberflächenbeschaffenheit abhängig. In Flusstälern wurden selbst in einer Höhe von rund 35m über dem Meeresspiegel noch Spuren des Tsunamis gefunden.
Die Schäden dieses Tsunamis entsprechen in etwa denen, die nach dem Meiji-Sanriku-Beben im Jahr 1896 entstanden. Das Beben war mit einer Magnitude von 7,2 wesentlich kleiner als das vom März dieses Jahres, aber das Hypozentrum war flacher und das Beben hat ebenfalls fast fünf Minuten gedauert. In Kesennuma erreichte der darauf folgende Tsunami eine Höhe von rund 22m. Der mit 38,5m über dem Meeresspiegel höchste Ort, den das Wasser erreicht hat, liegt ebenfalls in einem Flusstal.
Um Tsunami-Schäden zu verhindern hat die Stadt Tarō-chō einen x-förmigen Schutzwall von insgesamt 2,5km Länge und über 10m Höhe angelegt. Obwohl er erst Ende der 70er Jahre fertig war, hielt er schon dem Tsunami nach dem Großen Chile-Erdbeben von 1960 stand und wurde von vielen Forschungsgruppen aus der ganzen Welt besucht. Da die Welle allzu hoch war, wurde er am 11. März einfach vom Tsunami überrollt.
Geologische Untersuchungen belegen, dass es auch früher schon große Tsunami-Schäden gegeben hat. So hat man 3km landeinwärts in Watari eine Schicht von Tsunami-Schwemmland gefunden, die nach dem Shōgan-Beben mit einer geschätzten Magnitude von 8,3 im Jahr 869 entstanden ist. Darunter gibt es noch weitere drei weitere Tsunami-Schichten.
Da das Wasser nach dem Tsunami nicht wieder ablief, wurden schon bald Bodenabsenkungen vermutet. Tatsächlich ist die Küste in Onahama um 40cm, in Minamisanriku bis zu 75cm abgesunken. Das bedeutet, dass auf lange Sicht die Entscheidung gefragt ist, ob das Gebiet dem Meer zurückgegeben wird, auch wenn einige Flächen wohl relativ problemlos zurück gewonnen werden können.
Allerdings würde es für die Gemeinden, die jetzt schon am meisten durch den Tsunami geschädigt sind, einen weiteren Verlust bedeuten. Wenn die neuen Wasserflächen von der Gesamtfläche der Präfektur abgezogen werden, ist der Anteil am Finanzausgleichs geringer und damit sinken die Steuereinnahmen. Deshalb will die Geospatial Information Authority of Japan zunächst auf eine detaillierte Untersuchung verzichten. Die Institution untersucht die Küsten Japans jeden Oktober bei Hochwasser und passt die Karten entsprechend an. Die verlorene Gesamtfläche, die sich von Aomori bis Fukushima erstreckt und in der auch Aufschüttungsgebiete liegen, beträgt rund 443km2 und entspricht damit etwa 70 % der Gesamtfläche der 23 Stadtbezirke Tōkyōs. Zwischen Miyagi und Sōma sind jährliche Absenkungen von rund 3mm normal.
GPS-Messungen haben außerdem ergeben, dass sich das Land um bis zu 4m nach Osten verschoben hat.
Das menschliche Leid im Katastrophengebiet ist durch Zahlen nur schwer fassbar, dennoch möchte ich abschließend anhand der Zahlen, die am 8. April 2011, also genau vier Wochen nach der Erdbebenkatastrophe vom Nationalen Polizeiamt veröffentlicht wurden, einen groben Überblick über die Zahlen der Toten und Vermissten sowie die Zahl der beschädigten und zerstörten Häuser zu geben.
Zuletzt geändert am 10.04.2012
© Susanne Elfferding. All rights reserved.
Die Karte mit den Plattengrenzen wurde aus Wikipedia entnommen, die Originaldatei befindet sich hier.
Zeichner: Eric Gaba (Sting), Maximilian Dörrbecker (Chumwa).
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Die Karte von Nordhonshũ wurde aus Wikipedia entnommen, die Originaldatei befindet sich hier.
Zeichner: Uwe Dedering.
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