Die Poststation Ōuchi (大内宿)liegt etwa 150 km nördlich von Tōkyō in der Stadt Shimogō in der Präfektur Fukushima. Obwohl sie verwaltungstechnisch zu einer Stadt gehört, liegt die Siedlung in einem abgelegenen Tal, so dass mehr als 30 reetgedeckten Wohnhäuser auf einer Fläche von 11,3 ha von der Verstädterung verschont wurden und fast in ihrem ursprünglichem Zustand erhalten sind. Seit 1981 steht die Poststation als wichtiges historisches Bauensemble (重要伝統的建造物郡保存地区)unter staatlichem Schutz.
Die Poststation entstand am Nishi-Aizu-Kaidō, der seit Anfang der Edozeit (1600-1867) hier verlief. Der Nishi-Aizu-Kaidō war die Überlandstraße von Aizu Wakamatsu, heute in der Präfektur Fukushima, nach Imaichi, heute ein Stadtteil von Nikkō in Tochigi, wo er auf den Nikkō-Kaidō traf. Über die Ortsgeschichte sind leider nur wenige Informationen erhalten, es wird jedoch angenommen, dass der Ort um 1700 aus einer bereits bestehenden Streusiedlung zusammengefasst wurde.
Der Nishi-Aizu-Kaidō wurde von den regionalen Daimyō genutzt, um nach Edo (heute Tōkyō) zu reisen, wo sie sich regelmäßig beim Shōgun aufhalten mussten. An diesen Reisen nahmen immer rund 600 Personen teil, so dass bei ihrer Durchreise ein reges Treiben im Ort herrschte.
Obwohl die Gebäude nicht alle in derselben Zeit entstanden sind, ist das Ortsbild sehr einheitlich, da es strenge Bauauflagen gab, die die Ausrichtung, Grundfläche, Breite und Höhe der Gebäude vorschrieben. Vor den Gebäuden wurde eine breite Fläche freigehalten, um Packpferde anzubinden und Waren auf- und abzuladen.
Seit dem Bau der Nationalstraße 121 Ende des 19. Jahrhunderts liegt die Poststation abseits der Hauptverkehrsroute und fiel in einen Dornröschenschlaf. Von dem Gebäude, das den Daimyō während seiner Reise aufnahm, blieben zwar nur die Fundamente übrig, die Bausubstanz der anderen Gebäude konnte jedoch die Besonderheiten der damaligen Zeit bewahren.
Seit Mitte der 60-er Jahre begann man auch in Japan den Wert traditioneller Bauwerke wiederzuentdecken. Auch in der Poststation Ōuchi begannen die Renovierungsarbeiten. Um das Straßenbild dem Ortsbild anzupassen, wurde die inzwischen asphaltierte Straße Ende der 90-er Jahre wieder mit einer wassergebundenen Decke versehen. Allerdings wurde dabei der Wasserlauf in der Mitte der Straße nicht wiederhergestellt, sondern durch zwei Wasserläufe links und rechts der Straße ersetzt.
Nicht nur bei der Materialauswahl und der farblichen Gestaltung wurde versucht, ein harmonisches Ortsbild zu erreichen, es gibt weder die in Japan bei Restaurants und Geschäften allgegenwärtigen Werbetafeln noch Getränkeautomaten, und selbst die Briefkästen nehmen ein altes Design wieder auf.
Auf der anderen Seite bekommt man auch einen Einblick in das Leben mit der Natur: Unter einem Dachüberhang hängen Bündel von Reisstroh, um die viele kleine Bienen schwirren. Es handelt sich hierbei um die asiatische Mauerbiene (Osmia cornifrons), die kein Nest baut, sondern Pollen in den hohlen Stengeln von Bambus und Gräsern sammelt. Da sie während der Obstbaumblüte im April aktiv ist, werden die Strohbündel dann in die Obstwiesen gehängt. Diese Wildbienenenart wird in Japan seit den 60-er Jahren planmäßig zum Bestäuben von Obstplantagen eingesetzt, besonders bei der Bestäubung von Apfelblüten ist ihre Effizienz geschätzt, die rund 80-fach besser sein soll als die von Honigbienen. Übrigens: Die asiatische Mauerbiene sticht nicht und ist daher völlig ungefährlich.
Das Gebäude, in dem die Daimyō auf dem Weg nach Edo übernachtet haben, und das während des Boshin-Kriegs (1868 bis 1896) verloren ging, wurde ebenfalls wieder aufgebaut. Da in diesem Bürgerkrieg, der den Endpunkt der Edozeit markierte und infolge dessen die alte Shogunatsregierung ihre Macht verlor, auch viele Unterlagen verloren gegangen waren, orientiert sich der Nachbau an ähnlichen Gebäuden in der Region. Seit 1998 ist hier ein Museum eingerichtet.
In den meisten Gebäuden sind heute jedoch kleine Geschäfte oder Restaurants untergebracht, es gibt auch eine Herberge. Die Geschäfte verkaufen unter anderem Kunsthandwerkprodukte wie Töpferwaren und Produkte aus der Region, wobei jedes Geschäft sich darum bemüht, ein eigenes Warensortiment anzubieten.
Für den Tourismus wurde auch das im Winter abgehaltene Schneefest kreiert. Es gibt jedoch auch heute noch eine Reihe traditioneller Feste, von denen das Schreinfest Anfang Juli das wichtigste ist. Es kann angeblich auf eine 800-jährige Tradition zurückblicken.
Um die Tradition zu bewahren hat sich außerdem eine Jugendgruppe gebildet, deren Zeil das Erlernen alter Kulturtechniken ist. Sie hilft auch beim gemeinsamen Erneuern der Reetdächer, das durch die Einwohner selbst durchgeführt wird.
Von 2004 bis 2005 hat die Präfektur mit Bürgerbeteiligung die Straße, die zu der Poststation führt, verschönert und dort kleine Aussichtspunkte eingerichtet. In der Siedlung selbst können übrigens nur die Anwohner das Auto benutzen, wobei auch sie die zentrale Straße meiden. Außerdem ist – wie inzwischen auch in einigen Stadtbezirken Tōkyōs – das Rauchen auf offener Straße nicht erwünscht.
Als Folge all dieser Maßnahmen hat die Poststation 1992 beim ersten Dorfbildwettbewerb des Ministeriums für Landwirtschaft und Fischerei den Hauptpreis in der Sparte Kultur gewonnen und 2005 vom Ministerium für Verkehr, Land und Infrastruktur den Preis für lokale Aktivitäten zum Erhalt des kulturellen Erbes im ländlichen Raum (手作り郷土賞) erhalten. Außerdem stieg die Zahl der Besucher von 20.000 im Jahr 1985 auf 800.000 im Jahr 2005.
Zuletzt geändert am 12.05.2007
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